Immer wieder von vorne anfangen

16Jan2024

Nun bin ich schon mehr als einen Monat hier und es fühlt sich doch manchmal so an, als ob ich erst vor ein paar Tagen angekommen bin. 

Immer wieder gab es Veränderungen und sie halten an. Mein Ankommen lag in der Weihnachtszeit, was bedeutete, dass kaum etwas so war, wie es normalerweise ist. Angefangen, bei den fünf Villagern (so werden hier die Zubetreuenden genannt) von denen nur zwei da waren, bis hinzu, dass mich statt den typischen Workshopaufgaben Weihnachtsputzen und -deko erwartete. Soweit ich mich erinnern kann, war ich recht froh über den langsamen Einstieg, allerdings war Weihnachten dann doch herausfordernder als ich gedacht hätte. Umgeben von vielen Menschen, die ich kaum kannte, welche alle die Hoffnung ausstrahlen, dass es ein familieres gemütliches Beisammensein ist, ich mich jedoch noch nicht richtig zugehörig fühlte. Und auch auf der Co-worker Weihnachtsparty schaute mich beinahe jeder mit dem fragenden Blick von wegen "gehörst du zu uns?" an. 

Somit waren für mich die ersten Verbindungen zum Dorf und damit zum System meine Hauscoordinatorin, eine Freiwillige, die ich noch vom Seminar kenne und mein Mitfreiwilliger im Haus. Die drei öffneten mir (zumindest spaltbreit) jeweils eine andere Tür zur Community. Und dann musste mein Mitfreiwilliger plötzlich wieder zurück nach Israel. Von einen auf den nächsten Tag brach eine meiner Stützen weg, brachte mich aus dem Gleichgewicht. Und noch am selben Tag, kam ein neuer Freiwilliger. Während ich noch versuchte wieder Balance zu finden, stieg er gleich voll in das Communityleben ein. Die nächsten Tage gab es dann gar keine Workshopaktivitäten mehr, sondern spezielle Gruppen. Erst besuchte ich nur eine, dann übernahm ich die Movement Gruppe von meinem israelischen Freiwilligen. Und nebenbei sollte ich im Haus immer wieder Routinen erklären, während ich sie selbst noch kaum kannte.

Anschließend kam noch Silvester. Gemeinsames Essen und tanzen mit dem ganzen Dorf und nach einer kleinen Messe in der Kapelle folgte eine Karaokeparty und die nächste Co-worker Party. Diesmal kannte ich schon ein paar mehr Leute, wodurch ich es ein wenig mehr genießen konnte. 

Nach guten zwei Wochen mit einem Co-workerwechsel im Haus lernte ich dann die Workshops kennen. Nach und nach kamen dann auch alle Villager wieder und so konnte entlich eine Routine entstehen. Langsam wurden wir ein gutes Hausteam, langsam lernte ich - durch Ausflüge in die Stadt oder an den Strand oder beim Roddeln- mehr und mehr Co-worker kennen. 

Und dann wurde ich krank, aber so richtig. Eine Mandelentzündung schottete mich knappe zwei Wochen von allem ab. Gerade hatte ich angefangen einen Weg zu finden, mehr Kontakt aufzubauen und nun war alles stillgelegt. Und dann machten mir auch noch die Sprachbarriere zu schaffen, dass was ich brauchte, zu kommunizieren. 

Zur gleichen Zeit, als draußen der Schnee schmolz, ging es auch bei mir wieder aufwärts. Schrittweise konnte ich wieder in die mir gerade erarbeitete Routine einsteigen und auch meinem Mitfreiwilligen, der zur selben Zeit krank war, ging es wieder besser. Kaum zurück, kam die nächste Änderung.

Es gab wieder einen Co-workerwechsel in meinem Haus. Es wiederstrebte mir sehr, mich schon wieder auf ein neues Team einzustellen. Doch die erste Woche war ich beinahe alleine im Haus, da unser neuer Replacer auch krank war und meine Hauscoordinatorin voll mit Meetings und Theaterproben ausgebucht war. So war ich wieder im Haus gefangen und mir war die Möglichkeit verstellt, die anderen Co-worker näher kennenzulernen. Dies war eine sehr frustrierende Situation. Die letzte Woche hat es sich dann aber wieder entspannt. Doch ich weiß, dass es in zwei Wochen wieder anders wird, wieder ein neues Team... 

Was nun?

14Jan2024

Zwei Monate komplett ohne Orientierung. Freie Zeit mit der man eigentlich einiges machen kann. Zeit in der ich mir bewusst werden könnte, was ich "später mal machen will". Zeit in der ich rumfahren und Freunde und Familie besuchen könnte. Zeit in der ich neue Hobbys ausprobieren oder spannende Orte hätte kennenlernen können. Doch was tat ich, kaum etwas davon. Mir war das zwar alles mehr oder weniger bewusst, aber es in die Praxis umzusetzen hätte mich unendlich viel Energie gekostet. Letztlich bin ich in diesen zwei Monaten kaum aus Dresden raus gekommen, habe zwar eine Jobmesse besucht und viel recherchiert, doch trotzdem nicht die Frage nach den Zukunftspläne geklärt und auch in anderweitige Interessen bin ich nicht weitergekommen.

Daher war ich sehr froh, als ich dann die Entscheidung getroffen hatte, in einem anderen Land mein zerissenes Jahr weiterzuführen. Die entgültigen Entscheidung fiel dann auf die Camphill Community Newton Dee in Schottland.

Als es dann etwas plötzlich los ging war ich trotzdem aufgeregt, denn im Gegensatz zu Israel war die Planung eher wie ein Tagesausflug. Ich hatte kaum eine Ahnung, was mich erwarten würde. Erst vor Ort, als ich es sah, wurde mir bewusst, dass hier ja die Autos auf der anderen Seite fahren und auch die Steckdosen anders aussehen. Doch trotzdem hat alles ziemlich gut geklappt und ich bin diesmal nur mit 30min statt 2h später angekommen. Somit wurde ich nun auch wirklich vom Bahnhof abgeholt und kam zum Abendessen in Newton Dee an. Hier wurde ich von meiner Hauscoordinatorin, zwei Villagern und einem behaglichen Dachzimmer begrüßt. 

Rückreise

26Dez2023

Am nächsten Morgen (bezieht siech auf den letzten Eintrag) blieb mir so nur Zeit, ein letztes Mal beim Zähneputzen zu helfen und mir ein Frühstück zusammen zustellen, von dem ich jedoch nur die Hälfte schaffte, weil einerseits die Zeit nicht reichte und ich andererseits ohne hin kaum etwas runter bekam. Danach wurde ich von allen aus meinem Haus verabschiedet, wobei viele Tränen flossen und zum Schluss sangen noch alle von uns die nach Ein Yahaf gekommen sind ein Abschiedslied für mich und einen Mitfreiwilligen aus Deutschland.

Gleich darauf wurden wir von meinem Hausvater ins Zentrum des Dorfes gefahren, wo unsere Mitfahrgelegenheit auf uns wartete. Diese war ein Mann mit einem klapprigen kleinen Auto, welches aber Vollgas fuhr und dabei Fenster offen und Radio auf voller Lautstärke hatte. Für die weitere Planung war das nicht gerade hilfreich, recht schnell kommunizierten mein Mitfreiwilliger und ich nur noch über Nachrichten, aber es half die Gedanken und Gefühle zu betäuben und vor allem brachte es uns nach Be'er Sheva. Von dort holte uns dann jemand ab und nach drei Stunden kamen wir entlich im beinah ausgestorbenen Kfar Rafael an.

Mittlerweile hatte sich ein Flug für den nächsten Tag morgens um zehn von Tel Aviv gefunden. Somit hieß es für uns jetzt Sachen packen. Dafür einen halben Tag Zeit haben und eigentlich sehr genau wissen, was man einpacken muss, sollte nicht so schwer sein. Aber wenn du eigentlich gerade erst dein Zimmer eingerichtet, dich an die Menschen gewöhnt und sie auch wirklich ins Herz geschlossen hast. Wenn du innerhalb von vier Tagen Bombenalarme gehört, durch ein Viertel des Landes hin und wieder zurück gefahren bist und alles fühlende somit noch drei Schritte hinterher henkt. Dann fällt es unglaublich schwer alles wieder aus dem Schrank und von der Wand zu nehmen und wieder in diesen Rucksack zu packen, den du gefühlt erst vor einer Stunde ausgepackt hast. Jeder Bewegung, jeder Handgriff fühlt sich falsch an.

Daher stand ich zunächst nur in meinem Zimmer und drehte mich wieder und wieder um meine eigene Achse. Wollte nichts anfassen, wollte nicht zulassen, dass "gehen-müssen" Gestalt annehmen zu lassen. Und doch wusste ich, dass ich musste. Zum Glück war eine mir sehr wichtige Freiwillige im Dorf geblieben und hatte Zeit. So saß sie den restlichen Nachmittag in meinem Zimmer, wir hörten Musik, sie malte und ich packte Sachen. Viel reden taten wir nicht. Doch einfach ihre Anwesenheit half mir, nicht zu denken, sondern einfach zu machen.

Der Abend verstrich dann mit sauber machen und im verlassenen Haus Klavier spielen. Zu letzt schrieb ich noch eine Abschiedskarte für mein ganzes Hausteam und verabschiedete mich.

Da es auch nochmal einen kurzen Bombenalarm gegeben hatte, entschied ich mich die kurze Nacht im Bunker zu verbringen. 

Am nächsten Morgen ging es für uns beiden Deutschen um drei Uhr mit dem Taxi zum Flughafen in Tel Aviv, wo wir auf drei weitere Freiwillige aus unserer Organisation trafen. Es tat sehr gut nicht allein zu sein. So konnte man aus der Sorge, ob man alles rechtzeitig schaffte, ob man ohne Probleme durch die Sicherheitskontrolle kommt und ob der Flieger nicht doch noch gecancelt wird oder einfach nicht abhebt, Witze machen. Am Ende lief auch alles mehr oder weniger ohne Komplikationen und wir hatten sogar noch Zeit für ein teures Flughafenfrühstück.

Israel dann wirklich unter sich wegziehen zusehen, war aber doch sehr ergreifend.

Erstmal ging es für uns runter nach Äthiopien, da diese Richtung beinahe, die einzige war, die noch genutzt wurde. In Äthiopien hatten wir dann zehn Stunden Aufenthalt, welche wir auf dem Flughafen verbrachten, weil wir einerseits nicht wussten, ob wir überhaupt visumstechnisch raus können und andererseits sowieso ziemlich k. o. waren. Zunächst schliefen wir alle auf den Flughafenbänken für fast zwei Stunden und lagen noch etwas länger da, in der Hoffnung irgendwie hinter dem Geschehenem herzukommen. Irgendwann holte sich jeder irgendetwas zu essen und gegen Mitternacht ging es dann weiter nach Frankfurt.

Nach sieben Stunden mit Rückenschmerzen in der mittigsten Mitte des Flugzeug umgeben von schlafenden Menschen, kamen wir am Donnerstag morgen in Frankfurt an. Fast alle von uns wurden von der Familie abgeholt und mit dem Auto gefahren.

Es war komisch sich nun trennen zu müssen und quasi allein mit all den Erfahrungen nach Hause zu fahren. 

Ein Yahaf

22Nov2023

Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir in Ein Yahaf an.

Dieses Dorf ist nicht ein Kibbuz sondern ein Moshav, dies ist ein gemeinschaftliches Dorf welches aus verschiedenen Familien besteht, doch im Gegensatz zum Kibbuz ist alles etwas einzelstehender. Dies heist jedoch nicht, dass man komplett auf sich angewiesen ist. Nein, wir wurden mit offenen Armen empfangen. Jugendliche, die gerade ihre Eltern besuchten hatten uns ihre Räumlichkeiten überlassen und viele Dorfbewohner boten uns ihre Hilfe an. Sie kochte für uns, gaben Angebote wie Yoga für die Chaverim und stellten uns Klamotten zur Verfügung, da wir in der Hektik dann doch hier eine Schlafanzughose, dort Bettwäsche vergessen hatten.

Am Anfang, und ich kann nicht wirklich sagen, dass ich mehr als diesen dort mitbekommen habe, musste sich jeder erstmal an die neue Situation gewöhnen. Für die Chaverim war es ungewohnt, nicht mehr vom Üblichen umgeben zu sein, was auf ihre Bedürfnisse angepasst war. Für uns Freiwilligen war es schwer mit dem Wissen bzw nicht wissen, was los ist umzugehen und gleichzeitig eine Sicherheit für die Chaverim zu sein. Und von den Hauseltern ganz zu schweigen, sie organisierten, erklärten, halfen und planten, wie es weiter gehen kann. Und gleichzeitig war jeder noch mit ganz persönlichen Gedanken beschäftigt. Viele Israelis machten sich Sorgen um Angehörige und Freunde, eigentlich jeder kannte jemanden, der bei der Armee war/ist. Dagegen hatte ich wirklich ein Privileg, ich hatte niemanden, um den ich mir akut Sorgen machen musste, bei mir waren alle im sicheren Deutschland oder in anderen ruhigen Regionen. Doch auch mir machte die Situation zu schaffen. Gestern das erste Mal einen Bombenalarm gehört, anschließend Sachen für eine Evakuierung packen, von der man nicht wusste, für wie lange. Die Sorge und Unsicherheit aller und nebenbei noch sich und die Chaverim an einem neuen Ort einrichten. Für den Chaverim den ich betreute, war es besonders schwer, da nichts so war wie es sonst war, nichts hatte eine Ordnung, nichts woran man sich festhalten konnte. Die Dusche war eine Badewanne und er unsicher auf den Beinen, beim Waschbecken lief das Wasser halb so schnell wie normalerweise ab und er wollte nicht aus dem Bad gehen, solange noch welches im Becken war. Doch die anderen beiden mussten auf Toilette und ich konnte kaum Hebräisch und musste so irgendwie einen Weg finden den einen Chaverim schnellstmöglich aus dem Bad zu bekommen. Dies war eine Situation die mich ziemlich dicht an die Verzweiflung brachte, doch ich meine auch, dass sie stellvertretend für diesen ganzen Nachmittag und Abend stehen kann. Immer wieder musste sich die ein oder andere Person eine Pause nehmen, weil die Wogen der Geschehnisse und der Sorge über ihr zusammenbrachen.

Doch diesen Raum gab es und auch vollstes Verständnis. Nie saß jemand alleine, immer war jemand anderes da. Und so anstrengend wie dieser Tag und auch die nächsten waren, ich habe nie zuvor einen solchen Zusammenhalt gespürt. Alle waren füreinander da. Nachdem wir die Chaverim ins Bett gebracht hatten, saßen wir noch lange draußen und redeten miteinander. Wir tauschten uns aus, erzählten einander, was uns beschäftigte und es tat einfach gut, all dies zu teilen. Hierbei hörte ich auch immer wieder und mir selbst ging es genauso, dass wir uns hier wo wir waren und auch im Kfar Rafael sicher fühlten. Das skuriele war auch, so weit im Süden und in der Wüste bekam man auch gar nichts mehr vom Krieg mit. Man hörte keine Sirenen von Krankenwagen oder Flieger, geschweigeden einen Bombenalarm. Je später es wurde, um so stiller wurde es auch. Irgendwann waren dann alle nach und nach müde und wir legten uns hin. Da wir räumlich etwas begrenzt waren, schlief ich mit den drei anderen Freiwilligen aus meinem Haus in einem Zimmer.

Nach einer wenig erholsamen Nacht fing für mich der nächste Tag mit einem freien Vormittag an. Auf Grund der veränderten Umstände wurden auch unsere freien Tage gekürzt, doch ich war einfach nur froh, dass ich etwas länger meinen Gedanken nachhängen konnte, die noch gefühlt drei Schritte hinterherhinkten und noch im Kfar Rafael steckten. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und es kam mehr und mehr die Frage auf, ob ich bleibe oder zurück nach Deutschland möchte. Dies war für mich keine Entscheidung zwischen Leben in einem Kriegsgebiet oder Leben in Sicherheit. Es war für mich mehr eine Frage von, für die Menschen vor Ort da sein wollen und sie zu unterstützen, dabei aber selber mit der Sorge umzugehen, die sich andere (ihr) um mich machten oder den mich betreffenden Sorgen ein Ende bereiten, aber gleichzeitig die mir liebengewordenen Menschen zurücklassen und nicht mehr für sie da sein zu können. Denn wie gesagt, ich fühlte mich an den Orten, an den ich war und mit den Menschen um mich herum sicher. Mir machte sogar der Rückweg mehr Angst, da ich mich dafür aus der "vertrauten" Umgebung begeben musste. Ich muss sagen, ich wüsste immer noch nicht, wie ich mich entschieden hätte. Gegen Mittag gab es dann ein zoom Meeting mit den "Freunden der Erziehungskunst...", wobei es noch zur Frage stand, ob wir zurück wollen oder nicht. Diese Frage machte mich ziemlich fertig, weshalb mir die Ablenkung der Arbeit am Nachmittag, wo wir alle zusammen Yoga machten, sehr gut tat. Beim Abendessen nahm mich dann mein Hausvater zur Seite und teilte mir mit, dass ich morgen abreisen müsse. So schnell hatte ich nicht damit gerechnet. Ich war einerseits erleichtert, weil mir so die Entscheidung abgenommen wurde, doch andererseits saßen wir Freiwilligen dann erstmal geschockt am Tisch, weil niemand es fassen konnte, dass wir uns morgen trennen mussten.

Auch dieser Abend wurde lang. Wir brachten die Chaverim ins Bett und erzählten, ich und ein deutscher Mitfreiwilligen packten unsere Sachen, es gab eine spontane Miniverabschiedung und dann kamen wir auf die Idee mal nach den Flüge zu schauen. Erst war der eine Flug gecancelt, dann der andere, wir telefonierten mit unserer Organisation, die sich über die Nacht drum kümmerten, neue Flüge zu bekommen und gleizeitig suchte mein Hausvater eine Möglichkeit, wie wir zurück ins Kfar Rafael kommen konnten, da dort noch der Großteil unserer Sachen war. Am Ende ging ich mit der Info ins Bett, 'ich weiß zwar noch nicht wie, aber morgen werdet ihr zurück ins Kfar kommen. Genaueres kann ich dir erst morgen sagen' und vom Flug hatte ich gar keine Ahnung. So wusste ich kaum, was mich erwarten würde, nur dass ich alle hier zurücklassen müssen würde. 

Gerade war es noch Erzählung, jetzt Realität

11Nov2023

Nun gab es eine ziemlich lange Pause hier, denn bei mir ist ziemlich viel passiert. Immer wieder wollte ich von dem einen oder dem anderen Erlebnis berichten. Denn es gab einige kleine Begebenheiten, die für mich groß waren und spannende Ausflüge, zum Beispiel Jerusalem an Sukkot. Doch dann wurde plötzlich alles ganz anders und es änderte sich so viel, dass ich anfangs nicht die Zeit zum Schreiben fand und als ich sie dann hatte, wusste ich nicht wo ich anfangen sollte. Erstmal die alten Ereignisse nachholen oder doch vom Aktuellen berichten?

Viele haben sich nach mir erkundigt und es tut mir sehr leid, dass ich so späte oder manchmal gar nicht geantwortet habe. Und daher dachte ich erzähl ich erstmal, wie ich die letzte Zeit in Israel erlebt habe und wie ich zurück geholt wurde. Die anderen Themen folgen dann später.

Ihr kennt doch bestimmt das Geräusch von den Feueralarmproben mittwochs um 15 Uhr, oder? Von eben diesen Sirenen wurde ich am Samstag (07.10.) geweckt. Im ersten Moment war ich irritiert und erschrocken, aber letzteres weniger als ich in einer solchen Situation erwartet hätte, denn ja, es war der Bombenalarm.

Zuvor wurde mir fast wie in einem Nebensatz gesagt, "in einer Alarmsituation musst du übrigens innerhalb von 60 Sekunden in den Bunker". Ich musste daraufhin erstmal fragen, wo dieser denn sei. "Da wo du deinen Chaverim immer zum Morgensport hinbegleitest", kam als Antwort. Okay. Das zeigte mir, wie normal eine solche Lage für die Israelis war. Für mich war es theoretisch in meinem Kopf abgespeichert. 

Dieses Gespräch fand eine knappe Woche vorher statt, so wusste ich, was zu tun war. Ich stand zwar unter Strom, doch war auch etwas zögerlich. Ich zog mir schnell eine Hose und einen Pullover über und ging schnell in die Küche. Dort sah ich "meinen" Chaverim schnell zum Bunker laufen. Das räumte dann die letzten Zweifel aus, denn wenn er schnell läuft, ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen, mag das wirklich was heißen. Somit beeilt ich mich und kam gleich darauf in den Bunker, wo auf den drei Betten, den Stühlen und dem Boden, die anderen bereits saßen.

Alle zwar wach und etwas geschockt, doch recht entspannt und mit dem Gedanken schnellstmöglich nochmal kurz ins Bett zu gehen. Nach zehn Minuten war es dann auch so weit, wir konnten wieder raus. Ich legte mich wirklich ins Bett, doch wirklich schlafen konnte ich nicht wieder. Man hörte immer wieder Flugzeugen, die tief flogen und Krankenwagen aus der fehrne. Doch in dem Moment war es für mich noch, 'okay, so fühlt sich nun also ein Bombenalarm an', ich hatte nun die praktische Erfahrung zur theoretischen Erzählung.

Wenig später gab es aber einen weiteren Alarm. Wieder aufspringen, schnell was überziehen und rüber in den Bunker. Nach zehn Minuten gingen die ersten langsam raus, doch kamen gleich zurück, denn der nächste Alarm kam. Die Regel ist nach einem Alarm zehn Minuten warten, wenn dann kein weiterer kommt, darf man rausgehen. Ja, nun gab es immer wieder Sirenen, weshalb wir erstmal bis neun im Bunker blieben, erzählten und sangen. Es wurden sich Bücher angeschaut und gepuzzelt. Irgendwann kamen die Sirenen mit größeren Pausen, was hieß, dass wir Freiwilligen und die Hauseltern immer wieder kurz raus konnten, um uns anzuziehen und das Frühstück vorzubereiten. So kam eine Person mit der Zahnbürsten im Mund wieder, die nächste hatte noch die Schlafanzughose an und beim nächsten alarm durfte man nicht vergessen schnell das Gas unterm Porridge auszudehnen.

Gegen Mittag hatte sich die Situation etwas beruhigt und es durften wieder alle aus dem Bunker raus, doch wir mussten es n der Nähe des Haus bleiben. Wir Freiwilligen bereiteten in der Küche das Mittagessen vor und suchten Beschäftigungen für die Chaverim. Zwischendurch telefoniert mal die ein oder andere Person, doch nur wenn wir alleine waren, denn vor den Chaverim sollten wir nicht über die Situation sprechen. Von meinen Mitfreiwilligen erfuhr ich, dass es mehr als die üblichen Alarme war. Dies war mir zwar schon bewusst, doch es nochmal so zu hören, war was anderes. Von den Hauseltern wurde uns immer wieder angeboten, eine Pause zu machen, doch jeder probierte die Normalität weitestgehend aufrechtzuerhalten. Als wir dann beim Essen saßen und fast jeder aufgegessen hatte, gab es nochmal einen Alarm, doch dieser sollte der vorletzte sein, den ich hören würde.

In der Mittagspause sollten wir ein paar Sachen packen, weil es die Überlegung gab, dass wir evakuiert werden. Doch niemand wusste, für wie lange und was genau benötigt wird. Den restlichen Tag blieben wir dann aber erstmal im Kfar Rafael und auch in der Nacht gab es entgegen unserer Erwartungen keine weiteren Sirenen. Doch ruhig schlafen konnte man trotzdem nicht, wie am Morgen hörte man wieder die ganzen Geräusche von Flugzeugen und Krankenwagen und auch teilweise ein entfernter Bombenanschlag. Und wir waren auch alle sehr aufgewühlt, weshalb noch lange geredet und telefoniert wurde. 

Am nächsten Tag gab es dann die konkrete Ansage, dass mein Haus und anderthalb weitere gen Süden fahren würden. Somit bestand der Vormittag daraus restliche Sachen zusammenzupacken und dann ging es mit einem Reisebus aus dem Dorf und der Stadt raus, rein in die Wüste und vorbei am Toten Meer bis nach Ein Yahaf (nahe der jordanischen Grenze) 

Ein Monat

30Sept2023

Nun bin ich einen Monat hier. Das kommt mir einerseits schon sehr lange vor, andererseits scheint er auch im Fluge vergangen. Ich bin vier Wochen hier, jeden Tag habe ich aber doch erst maximal vier Mal miterlebt. Dadurch weiß ich schon mehr was ich tun muss, bin dann aber doch wieder unsicher oder verwirrt, weil die Routine jedes Tages dann wieder etwas anders ist. Stetiges Leben um die  Chaverim, Mittwochs ist dann aber der Seminartag, wo ich vorwiegend die anderen Freiwilligen sehe. Oft geht es in die Weberei, Freitags dann aber zu den Streicheltieren. Jeden Tag gibt es auf Tabletts vorbereitetes Frühstück, Samstag gibt es dann aber Selbstbedienung am Tisch. Wobei der Shabbat sowieso anders ist, meistens entspannter. Und wenn man dann meint eine Ahnung vom Ablauf zu haben, steht schon wieder ein Fest vor der Tür. Mal nur eine kleine Abweichungen vom "Normalen" , weil jemand im Haus Geburtstag hat (drei diesen Monat) . Mal eine Große, weil Roshashana (jüdisches Neujahr) , Jom Kipur (Versöhnungstag, höchster Feiertag) oder Sukkot (Laubhüttenfest) zelebriert wird. Und all das war nur im September.

Manchmal ist es ganz schön viel, manchmal kann ich mich aber auch einfach treiben lassen. 

Boker tov - Nun bin ich drei Wochen hier

19Sept2023

Langsam habe ich das Gefühl, dass mein Gehirn nicht mehr zwei Stufen über dem normal Modus läuft. Langsam brauch ich nicht mehr alles gleichzeitig zu verstehen und während dessen sinnlos in der Küche rumstehen. Langsam brauch ich nicht mehr alles fragen und kann einzelne Worte in Hebräisch sagen. Langsam, langsam.

Anfangs schaute ich nach und nach überall rein, versuchte mir die Routinen zu merken und sollte meine Kräfte zu stärken.

Ich half zunächst bloß in der Küche beim Vorbereiten und mir wurde immer wieder etwas über das Kfar oder die Chaverim (auf Hebräisch "Freunde", womit die Bewohner gemeint sind) in unserem Haus erklärt. Erst seit dieser Woche ging es wirklich in die pädagogische bzw. pflegerische Richtung.

Ich kümmere mich hier größten teils um einen bestimmten Chaverim aus meinem Haus. Wobei kümmern nicht heißt, ihn zu füttern oder zu waschen. Es heißt viel mehr, ich bin da, um ihm zu sagen, was als nächstes kommt und zu verhindern, dass er an irgendeiner Kleinigkeit hängenbleibt.  Mit Kleinigkeit mein ich so etwas wie, dass das Handtuch korrekt hängen muss (wobei die Ordnung aber auch von Tag zu Tag anders ist) oder auch einfach dass einzelne Blätter auf der falschen Stelle auf dem Weg liegen.

Dies bringt mich manchmal fast zum Verzweifeln, besonders Morgens, da er sich da anziehen, das Bett machen, ich ihm die Zähne putzen und rasieren muss und das alles in einer bestimmten Zeit. Manchmal geht es aber auch plötzlich ganz leicht und er hat immer ein niedliches Lächeln auf den Lippen und manchmal müssen wir beide auch einfach nur schallend lachen.

Nach der Morgenroutine, welche nach dem oben Beschriebenen mit einem gemeinsamen Frühstück im Haus und einem anschließenden Morningsong mit dem ganzen Kfar (Hebräisch für Dorf) vollendet ist, geht es in die Werkstätten. Hier bin ich in der Weberei. Diese ist ein sehr guter Ort zum ausruhen, allerdings muss ich auch manchmal aufpassen nicht einzuschlafen, denn Schlaf kommt teilweise etwas kurz.

Nach den Werkstätten gibt es im jeweiligen Hause (es sind hier sieben verschiedene Häuser) Mittagessen und dann hat man zwei Stunden Pause. Diese habe ich anfangs fast komplett durchgeschlafen, weil es einfach so viele Eindrücke auf einmal waren, mittlerweile bleibt auch schon Zeit für anderes. Nach einem kleinen Kaffeetrinken geht es dann wieder an die Arbeit, welche jedoch immer verschieden ist, abhängig davon, was gerade ansteht.

Vor dem Abendessen muss ich meinen Chaverim beim Duschen beaufsichtigen und nach dem Essen gibt es eine von den Coworker (Freiwilligen) organisierte Abendktivität.

Somit endet der Tag zwischen acht und neun Uhr, je nach dem, ob man für den Abend und das zu Bett bringen verantwortlich ist. 

Es ging wirklich los

18Sept2023

Gerade aus Schweden wiedergekommen, sah ich viele von euch für ein Jahr das letzte Mal, dies zu realisieren fiel mir sehr schwer. Machte vieles noch ein letztes Mal. Dann war plötzlich der Rucksack entgültigen gepackt und mir wurde bewusst, dass ich dessen Inhalt erst wieder in einer komplett neuen Umgebung sehen werde. Ein letzter gemütlicher Abend zuhause und am nächsten Morgen saßen wir im Auto nach Berlin. Auf dem Flughafen ging es direkt in die israelische Sicherheitskontrolle. Erst beantworten, was man in Israel macht, wo und wieso, anschließend wurde mein gesamtes Handgepäck auseinandergenommen und dann musste ich mich unter diskreter Aufsicht der Israelis von Mama und Hele verabschieden. Nun ging es für mich alleine weiter. Erstmal durch das Labyrinth der Flughafen Kontrolle und dann warten. Hier sah ich bereits mein Flugzeug und merkte, wie die erste Sorge von mir abfiel und ich meine Gedanken weiter nach vorne richten konnte. Nach langen theoretischen Überlegungen, wie es sein könnte, was man brauchen könnte, worauf man sich einrichten muss, ob alles gut geht oder ob ich nicht doch noch meinen Flug verpasse, ging es dann wirklich los. 

Mit dem Blick auf dieses Flugzeug, welches mich dann nach Israel bringen würde, fing ich langsam an zu realisieren, dass ich nicht mehr irgendwo in Deutschland hängen bleiben werde, sondern wirklich mich auf ins Neue machte, von dem ich bisher immer nur erzählt hatte. Ich fing an zu realisieren, dass ich jetzt meine Vorstellungen durch wahre Bilder ersetzen werde. 

Und dann saß ich in diesem Flugzeug und hörte das erste Mal kein Deutsch mehr. Ich war umgeben von Hebräisch. Den Flug verbrachte ich hauptsächlich mit Schlafen und aus dem Fenster schauen, ich hatte eine sehr gute Sicht. Und irgendwann war es wie ein Grenze im Himmel, denn plötzlich gab es keine Wolken mehr. 

Dann kam die Küste und schon sah ich Tel Aviv und kurz darauf erkannte ich auch Jerusalem. 

Als ich den ersten Fuß aus dem Flugzeug in den Flughafen setzte, konnte ich es kaum glauben, dass ich wirklich in Israel stehe. Nachdem ich mein Gepäck bekommen hatte suchte ich meinen Zug, was aufgrund der neuen Schrift etwas schwieriger war. Letztlich fand ich einen, doch beim Umsteigen wählte ich scheinbar einen S-Bahn ähnlichen Zug, wodurch ich eine Stunde später als erwartet ankam. Mit der Information es wartet ein weißes Auto auf dich stieg ich in Be'er Sheva aus. Dort stand jedoch nicht nur ein weißes Auto, sondern mindestens 15 und nach ein paar Minuten stellte ich fest, dass keines dieser Autos auf mich wartete. Leider konnte ich mit meinem Handy auch noch nicht kommunizieren, da ich noch eine europäische Nummer hat. Wie es der Zufall dann aber wollte, fragte mich eine Frau, wo ich den hin müsse und erklärte sich kurzer Hand bereit mich ins Kfar Rafael zu fahren. So kam ich dann gegen 10 Uhr abends entlich hier an und das erste was mir auffiel, war der Geruch und das Gefühl von Salzwasser in der Luft. 

 

Von meinen Hauseltern und den Mitfreiwilligen wurde ich trotz der Verspätung sehr liebevoll willkommen geheißen, was mir das ankommen um Einiges erleichterte.