Ein Yahaf

22Nov2023

Nach zwei Stunden Fahrt kamen wir in Ein Yahaf an.

Dieses Dorf ist nicht ein Kibbuz sondern ein Moshav, dies ist ein gemeinschaftliches Dorf welches aus verschiedenen Familien besteht, doch im Gegensatz zum Kibbuz ist alles etwas einzelstehender. Dies heist jedoch nicht, dass man komplett auf sich angewiesen ist. Nein, wir wurden mit offenen Armen empfangen. Jugendliche, die gerade ihre Eltern besuchten hatten uns ihre Räumlichkeiten überlassen und viele Dorfbewohner boten uns ihre Hilfe an. Sie kochte für uns, gaben Angebote wie Yoga für die Chaverim und stellten uns Klamotten zur Verfügung, da wir in der Hektik dann doch hier eine Schlafanzughose, dort Bettwäsche vergessen hatten.

Am Anfang, und ich kann nicht wirklich sagen, dass ich mehr als diesen dort mitbekommen habe, musste sich jeder erstmal an die neue Situation gewöhnen. Für die Chaverim war es ungewohnt, nicht mehr vom Üblichen umgeben zu sein, was auf ihre Bedürfnisse angepasst war. Für uns Freiwilligen war es schwer mit dem Wissen bzw nicht wissen, was los ist umzugehen und gleichzeitig eine Sicherheit für die Chaverim zu sein. Und von den Hauseltern ganz zu schweigen, sie organisierten, erklärten, halfen und planten, wie es weiter gehen kann. Und gleichzeitig war jeder noch mit ganz persönlichen Gedanken beschäftigt. Viele Israelis machten sich Sorgen um Angehörige und Freunde, eigentlich jeder kannte jemanden, der bei der Armee war/ist. Dagegen hatte ich wirklich ein Privileg, ich hatte niemanden, um den ich mir akut Sorgen machen musste, bei mir waren alle im sicheren Deutschland oder in anderen ruhigen Regionen. Doch auch mir machte die Situation zu schaffen. Gestern das erste Mal einen Bombenalarm gehört, anschließend Sachen für eine Evakuierung packen, von der man nicht wusste, für wie lange. Die Sorge und Unsicherheit aller und nebenbei noch sich und die Chaverim an einem neuen Ort einrichten. Für den Chaverim den ich betreute, war es besonders schwer, da nichts so war wie es sonst war, nichts hatte eine Ordnung, nichts woran man sich festhalten konnte. Die Dusche war eine Badewanne und er unsicher auf den Beinen, beim Waschbecken lief das Wasser halb so schnell wie normalerweise ab und er wollte nicht aus dem Bad gehen, solange noch welches im Becken war. Doch die anderen beiden mussten auf Toilette und ich konnte kaum Hebräisch und musste so irgendwie einen Weg finden den einen Chaverim schnellstmöglich aus dem Bad zu bekommen. Dies war eine Situation die mich ziemlich dicht an die Verzweiflung brachte, doch ich meine auch, dass sie stellvertretend für diesen ganzen Nachmittag und Abend stehen kann. Immer wieder musste sich die ein oder andere Person eine Pause nehmen, weil die Wogen der Geschehnisse und der Sorge über ihr zusammenbrachen.

Doch diesen Raum gab es und auch vollstes Verständnis. Nie saß jemand alleine, immer war jemand anderes da. Und so anstrengend wie dieser Tag und auch die nächsten waren, ich habe nie zuvor einen solchen Zusammenhalt gespürt. Alle waren füreinander da. Nachdem wir die Chaverim ins Bett gebracht hatten, saßen wir noch lange draußen und redeten miteinander. Wir tauschten uns aus, erzählten einander, was uns beschäftigte und es tat einfach gut, all dies zu teilen. Hierbei hörte ich auch immer wieder und mir selbst ging es genauso, dass wir uns hier wo wir waren und auch im Kfar Rafael sicher fühlten. Das skuriele war auch, so weit im Süden und in der Wüste bekam man auch gar nichts mehr vom Krieg mit. Man hörte keine Sirenen von Krankenwagen oder Flieger, geschweigeden einen Bombenalarm. Je später es wurde, um so stiller wurde es auch. Irgendwann waren dann alle nach und nach müde und wir legten uns hin. Da wir räumlich etwas begrenzt waren, schlief ich mit den drei anderen Freiwilligen aus meinem Haus in einem Zimmer.

Nach einer wenig erholsamen Nacht fing für mich der nächste Tag mit einem freien Vormittag an. Auf Grund der veränderten Umstände wurden auch unsere freien Tage gekürzt, doch ich war einfach nur froh, dass ich etwas länger meinen Gedanken nachhängen konnte, die noch gefühlt drei Schritte hinterherhinkten und noch im Kfar Rafael steckten. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und es kam mehr und mehr die Frage auf, ob ich bleibe oder zurück nach Deutschland möchte. Dies war für mich keine Entscheidung zwischen Leben in einem Kriegsgebiet oder Leben in Sicherheit. Es war für mich mehr eine Frage von, für die Menschen vor Ort da sein wollen und sie zu unterstützen, dabei aber selber mit der Sorge umzugehen, die sich andere (ihr) um mich machten oder den mich betreffenden Sorgen ein Ende bereiten, aber gleichzeitig die mir liebengewordenen Menschen zurücklassen und nicht mehr für sie da sein zu können. Denn wie gesagt, ich fühlte mich an den Orten, an den ich war und mit den Menschen um mich herum sicher. Mir machte sogar der Rückweg mehr Angst, da ich mich dafür aus der "vertrauten" Umgebung begeben musste. Ich muss sagen, ich wüsste immer noch nicht, wie ich mich entschieden hätte. Gegen Mittag gab es dann ein zoom Meeting mit den "Freunden der Erziehungskunst...", wobei es noch zur Frage stand, ob wir zurück wollen oder nicht. Diese Frage machte mich ziemlich fertig, weshalb mir die Ablenkung der Arbeit am Nachmittag, wo wir alle zusammen Yoga machten, sehr gut tat. Beim Abendessen nahm mich dann mein Hausvater zur Seite und teilte mir mit, dass ich morgen abreisen müsse. So schnell hatte ich nicht damit gerechnet. Ich war einerseits erleichtert, weil mir so die Entscheidung abgenommen wurde, doch andererseits saßen wir Freiwilligen dann erstmal geschockt am Tisch, weil niemand es fassen konnte, dass wir uns morgen trennen mussten.

Auch dieser Abend wurde lang. Wir brachten die Chaverim ins Bett und erzählten, ich und ein deutscher Mitfreiwilligen packten unsere Sachen, es gab eine spontane Miniverabschiedung und dann kamen wir auf die Idee mal nach den Flüge zu schauen. Erst war der eine Flug gecancelt, dann der andere, wir telefonierten mit unserer Organisation, die sich über die Nacht drum kümmerten, neue Flüge zu bekommen und gleizeitig suchte mein Hausvater eine Möglichkeit, wie wir zurück ins Kfar Rafael kommen konnten, da dort noch der Großteil unserer Sachen war. Am Ende ging ich mit der Info ins Bett, 'ich weiß zwar noch nicht wie, aber morgen werdet ihr zurück ins Kfar kommen. Genaueres kann ich dir erst morgen sagen' und vom Flug hatte ich gar keine Ahnung. So wusste ich kaum, was mich erwarten würde, nur dass ich alle hier zurücklassen müssen würde.